Wie schade. Ich könnte immer weiter lesen. Und dann dieses Ende. „Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist leicht.“ So schrieb es in den Neunzigern der damals 80jährige Fred Wander (1917 – 2006), dessen Erinnerungen „Das gute Leben“ mich aufgewühlt, bestürzt, am Ende aber auch beglückt haben. Aufgewühlt und nachträglich bestürzt haben mich die Berichte aus dem besetzten Frankreich, wohin der österreichische Jude Fritz Rosenblatt 1938 geflohen war, da die Stimmung in Wien schon lange vor Hitlers Einmarsch für Juden unerträglich war. Ich habe vergessen, dass auch in Österreich ein faschistisches Regime herrschte, dass zwischen 1933 und 1938 alle demokratischen Parteien verboten waren, dass Kommunisten verfolgt wurden. Was haben die Menschen gejubelt, als Hitler kam. Endlich.

Aufgewühlt haben mich Fred Wanders Erinnerungen an die verschiedenen Internierungslager (waren es 15, oder 20? er wusste es nicht mehr genau). Die Auslieferung nach langer Odyssee an die Deutschen 1942. Die Deportation nach Auschwitz. Allein die Fahrt in den Waggons, ich habe es fast nicht ausgehalten zu lesen. Und die Menschen an den Bahngleisen, in den Dörfern und Gemeinden, sie haben das alles gesehen. Alle bekommen alles mit. Aber viele Menschen ziehen es vor, blind zu sein. Blind für die Leiden der anderen. In Auschwitz hatte Fred Wander „Glück“. Er war noch einigermaßen kräftig, wurde nicht sofort vergast wie später seine Eltern und seine Schwester, er wurde als Arbeitssklave ausgesucht. Vernichtung durch Arbeit lautete die Devise. Befreit in Buchenwald. Bis ins hohe Alter träumte er von den Lagern, wusste oft nicht, wo er war, wenn er nachts aufwachte.

1955 – inzwischen war er Kommunist, hatte in Wien als Journalist und Fotograf gearbeitet – ist er dann in die DDR gegangen, weil er dort als einziger Österreicher einen Platz am Literaturinstitut von J. R. Becher hatte. Seine zweite Frau Maxie ging mit ihm mit, und obwohl das alles nur eine Übergangslösung sein sollte, sind sie geblieben. Dabei waren sie schnell desillusioniert, vieles gefiel ihnen auch in der DDR nicht. Vielleicht sind sie auch wegen der Menschen dort geblieben, man könnte das nach der Lektüre denken. Aber sie hatten ja auch ihre österreichischen Pässe und waren privilegiert. Sie durften reisen. Durften in die Provence reisen und darüber ein Buch machen. Ich habe es noch immer in meiner Bibliothek. Natürlich habe ich mich beim Erscheinen 1978 – Maxie Wander war da schon seit einem Jahr tot – auch geärgert. Was denken sich die Bonzen? Sie lassen mich dieses Buch lesen, lassen mich in die Geschichten, in die Gesichter der Menschen eintauchen, obwohl ich das selbst nie sehen werde?

Maxie Wander, deren Buch „Guten Morgen du Schöne“ eine Art Bibel für mich war, deren Tagebücher und Briefe ich später verschlungen habe, sah ich jetzt beim Lesen mit den Augen ihres Mannes. Liebevolle Augen, auch wenn er seine Liebe oft nicht so ausdrücken konnte. Ihre unermüdliche Kreativität. Ihre Begabung, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, sich ihre Sorgen und Nöte anzuhören. Ihre Begeisterungsfähigkeit. Er schreibt: „…Lesen und Schreiben war für sie eine Erweiterung ihres Daseins.“ Und wenn das Paar abends in Kleinmachnow spazieren ging, überlegten sie oft, was sie am meisten an anderen Menschen interessiert. „Uns interessiert an den Menschen, wenn sie sich brennend für andere Menschen interessieren.“ D’accord.

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